Da hielt ein PKW vor dem Haus...
Hörstücke über das Durchgangsheim Bad Freienwalde


Einleitung

Bad Freienwalde: das ist ein kleiner beschaulicher Kurort im Osten Brandenburgs. Ein Schloss, ein Moorbad, eine Heilquelle, eine malerische Altstadt mit Hof-Theater, ein Fontane-Museum und 12 268 Einwohner*innen – all das gibt es in Bad Freienwalde. Und in Bad Freienwalde gibt es: das Gelände Adolf-Bräutigam-Straße Nummer 4...
Wir befinden uns direkt vor dem Grundstück mit einer besonderen Geschichte. Gleich neben dem Amtsgericht steht hier ein ehemaliger preußischer Gefängnisbau. Der hohe Zaun erschwert uns den Blick hinein. Heute ist das ehemalige Gefängnis die örtliche Polizeistation. Doch zu DDR-Zeiten, zwischen 1968 und 1987, war hier ein Durchgangsheim. Ein Durchgangsheim. Haben Sie das Wort schon einmal gehört? Was das wohl bedeutet, ein Durchgangsheim?

Der Begriff kommt aus dem System der Heimerziehung in der DDR. Ein Durchgangsheim war der Ort, in dem Kinder dann landeten, wenn die DDR-Jugendhilfe sie zur sogenannten „Umerziehung“ schickte - aber ihnen noch nicht direkt einen langfristigen Platz in einem Heim zuweisen konnte. In dieser Durchgangsstation warteten die Kinder also auf ihre Überweisung in ein sogenanntes Spezialkinderheim oder einen Jugendwerkhof. Eigentlich sollte das höchstens zwei Wochen dauern. Oft wurden jedoch Monate daraus.

Das Durchgangsheim von Bad Freienwalde: das sind Erinnerungen an Ankunft und Entlassung, an Zellen, Gefängnistorklingeln, graue Decken, Marmeladen-brote, Blechtassen, kaltes Wasser und an den Blick aus kleinen vergitterten Fenstern auf das Amtsgericht. Wir haben über diesen Teil der Geschichte des Gebäudes Adolf-Bräutigam-Straße 4 recherchiert und mit den Kindern und Jugendlichen von damals Interviews geführt. Über ihre Zeit hier im Durchgangsheim, ihre Kindheit vor dem Heimsystem und ihre späteren Erlebnisse in Jugendwerkhöfen. Diese Erinnerungen haben wir für Sie anonymisiert eingesprochen und in 6 Stationen entlang des Gebäudeplans neu hörbar gemacht. Wir möchten so ein Stück Ortsgeschichte erklingen lassen, um das es immer noch recht still ist. Natürlich sind die ausgewählten Erzählungen ganz persönlich und unsere Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Vor sich sehen sie die Abbildung des Gebäudes. Scannen Sie für jede Station einfach den QR-Code mit ihrem Smartphone, um zu den jeweiligen Geschichten der Zeitzeug*innen zu gelangen. Die Reihenfolge ist nicht wichtig. Mit jeder Station können Sie mehr über das Leben hinter den Mauern des ehemaligen Durchgangsheim in der Adolf-Bräutigam-Straße 4 erfahren.

Geschichte und Hintergrund: Umerziehung in der DDR

Im DDR Heimsystem mit seinen Durchgangsheimen, Spezialheimen und Jugendwerkhöfen war Unrecht an der Tagesordnung. Kinder und Jugendliche wurden hier aus verschiedenen Gründen untergebracht. Häufige Begründungen der Einweisung waren z.B. Schulschwänzen, familiäre Probleme, Nicht zur Arbeit gehen – Arbeitsbummelei genannt - oder das offene Ausleben westlicher Jugendkultur. Widerspruch, einen eigenen Kopf oder auch das Hören der Rolling Stones sahen Stasi, Lehrer*innen oder die Pädagog*innen der Jugendhilfe als mögliche Bedrohung. Teilweise wurde dieses Verhalten von den DDR-Behörden als „Asozial“ abgestempelt. Im Arbeiter-und Bauern Staat galt das Kollektiv als die beste aller Lebensformen und stand an erster Stelle. Der einzelne Mensch hatte sich einzuordnen. Sah man die Prinzipien des sozialistischen Zusammenlebens in Gefahr... verhielten sich Kinder von dieser Norm irgendwie abweichend... konnten sie aus ihren Kontexten gerissen und dem Heimsystem übergeben werden. Ziel der dortigen „Umerziehung“ war es „allseits entwickelte sozialistische Persönlichkeiten“ hervorzubringen. Der politische Wille zur Umerziehung und das darauf aufbauende System der Jugendhilfe griffen tief in die Persönlichkeits-rechte von Kindern und Jugendlichen ein. Die Suche nach Ursachen für das Verhalten der Kinder und Jugendliche stand dabei nicht im Vordergrund. Vielmehr galt die sozialistische Ideologie der „Erziehung durch Arbeit“. Durch ein strenges System von Leistung und Strafen sollten die jungen Menschen wieder auf den richtigen Weg gebracht werden. So auch hier im Bad Freienwalder Durchgangsheim. Das ehemalige Gefängnis wurde für seinen neuen Zweck nicht umgebaut - die Kinder wurden in den alten Zellen untergebracht. In allen Heimen war der Alltag durch strenge Regeln und Abläufe, sowie Arbeit strukturiert. So verbrachten die Kinder einen großen Teil des Tages mit der Herstellung von Produkten zur Planerfüllung oder Hausarbeit. Sie mussten Flur und Zellen putzen, schälten Kartoffeln oder schleppten Kohlen. Arbeit wurde auch gezielt als Strafe eingesetzt um den Willen der Kinder zu brechen, wenn sie z.B. mit einer Zahnbürste den Boden schrubben mussten. Es mangelte oft an angemessenen Bildungsangeboten, teilweise erhielten die Kinder gar keine Schulbildung. Aufgrund der fehlenden gesellschaftlichen Kontrolle der Heime kam es auch immer wieder zu Missbrauchsvorfällen und der Anwendung physischer Gewalt. Bis heute ist die Geschichte der DDR-Erziehungsheime kaum aufgearbeitet. Die Stigmatisierung der Betroffenen als „Asoziale“ wirkt bis heute nach. Betroffene kämpfen auch heute noch darum, dass ihr Schicksal als Unrecht anerkannt wird.